Bewegungsqualität bzw. gut funktionierende Bewegungsmuster sind entscheidend für gesundes Training und ein langes Leben mit hohem Bewegungsradius
Gute Bewegungsqualität ist den Menschen abhanden gekommen. Grundlegende Bewegungsmuster, wie z. B. Gehen, Stehen, Rennen, Drücken, Ziehen, Kniebeugen oder Heben sind massiv von Kompensations- und Ausweichbewegungen geprägt. Das erlebe ich jeden Tag in den Trainings mit meinen Klienten.
Für ein besseres Verständnis werden wir kurz klären, um was es sich handelt wenn ich von Bewegungsqualität bzw. guten Bewegungsmustern spreche.
Bewegungsqualität
Sehr einfach ausgedrückt: Eine Bewegung ist eine komplexe Abfolge von Muskelanspannung und Muskelentspannung. Muskel müssen in der richtigen Reihenfolge anspannen und entspannen. Andere Muskeln müssen angespannt bleiben, um Stabilität zu geben.
Eine Bewegung von hoher Qualität ist sehr komplex und erfordert eine Menge Koordination zur gleichen Zeit. Das Gehirn muss die Bewegung kennen und jeden Muskel der für die Bewegung oder die Bewegungsabfolge notwendig ist präzise ansteuern. Dazu ist es notwenig, dass sämtliche Sensoren, Nerven und das Gehirn die entsprechenden Information präzise weiterleiten, sodass die Muskeln im richtigen Moment “feuern” oder entspannen.
Die meisten Menschen denken nie über Bewegungsqualität nach. Alle Bewegungen sind selbstverständlich. Kommt es aber zu einer Herausforderung, wie z. B. einer komplexen Übung, dann geraten viele sehr schnell an ihre Grenzen. Dabei muss es oft nicht einmal eine komplexe Bewegung wie zum das Umsetzten mit der Langhantel (Clean) sein der die Grenzen aufzeigt. Der neutrale Stand ist bereits eine große Herausforderung geworden.
Die Schultern nach hinten und unten ziehen, die Schulterblätter fixieren, den Brustkorb aufrecht halten, die Halswirbelsäule aufrichten, das Kinn parallel zum Boden und den Kopf leicht nach hinten schieben. Ohren Schultern und Ellenbogen auf einer Linie. Die Hüfte neutral, d. h. stellt man sich das Becken als Wasserschüssel vor, darf vorn und hinten kein Wasser überschwappen. Die Knie sind leicht gebeugt, neutral eben und die Füße liegen flach auf, sodass der Schwerpunkt ca. unter dem Knöchel im Fußgewölbe liegt.
Schaut man sich den neutralen Stand der vieler Menschen an, so sieht man oft nach vorn fallende Schultern und eine nach hinten kippende Hüfte. Vom neutralen Stand leitet sich der Gang ab. Stehen wir nicht richtig, gehen wir auch nicht richtig.
Body Maps
Sämtliche natürliche und gelernte Bewegungen sind in sogenannten Body Maps gespeichert. Es handelt sich also um eine Art “Landkarte” der Bewegung, einer “Wegbeschreibung”.
Grundlegende Bewegungen wie, z. B. Aufstehen, Umdrehen, Gehen oder Krabbeln sind grundsätzlich tief im Gehirn verankert. Natürlich auch nur dann, wenn sich das Kind entsprechend dem natürlichen Rhythmus des Erlernens von Bewegungen entwicklen konnte.
Je komplexer eine Bewegung ist, desto umfangreicher und größer wird die Landkarte dieser Bewegung ausfallen. Und nur wenn wir diese Bewegungen regelmäßig und so präzise wie möglich wiederholen, bleibt dieses Bewegungsmuster bzw. die Body Map dieser Bewegung gut “lesbar”. Hier kommen wir zu einem großen Problem unserer Zeit: die meisten Kinder und Jungendlichen lassen Entwicklungsschritte in Gehirn- und Bewegungsentwicklung fast vollständig aus.
Stundenlanges draußen sein und die Zeit mit Rennen, Schleppen, Klettern, Kämpfen und altbekannten Kinderspielen zu verbringen, ist vorbei. Aber genau auf diese Weise entwickelt sich im Ganzen unser Bewegungssystem. Es baut stufenweise aufeinander auf. Spielerisch erlernt das Kind grundlegende Bewegungsmuster die dann von hoher Qualität sind.
Stattdessen sitzen viele Kinder nicht nur zu lange in der Schule und haben kaum oder schlechten Sportunterricht, sie sitzen auch nach der Schule und spielen mit ihren Computerspielen. Die Bewegungsmenge ist so stark reduziert, dass es zwangsläufig zu gesundheitlichen Problemen führt.
Nur mit viel Aufwand kann man das Fehlen dieser Entwicklungsschritte kompensieren – meist geht das aber nicht im vollen Umfang.
Anders herum geht es selbstverständlich auch. Kindern fehlen Body Maps für qualitativ hochwertige Bewegungen und Erwachsenen gehen sie Tag für Tag verloren, bzw. sie “verblassen so langsam. Bewegungsmangel und stundenlanges Sitzen zerstören regelrecht Body Maps.
Zum Beispiel: die Gesäßmuskeln, Beinbeuger und Bauchmuskeln (alle anderen Muskeln natürlich auch) werden während des Sitzens nicht beansprucht. Sie sind aber essentiell für qualitativ hochwertiges Gehen. Da unser Körper nach dem Prinzip “Use it or lose it” handelt, werden diese Muskeln nicht mehr richtig angesteuert. Der Körper verlernt regelrecht das korrekte Gehen.
Wer sich mit diesem Thema tiefergehend beschäftigen will, dem empfehle ich dieses Buch: “Sitzen ist das neue Rauchen”
Zusammengefasst: Bewegungen von hoher Qualität sind wichtig, um weitgehend verletzungsfrei durch Leben zu kommen. Hier sind Verletzungen gemeint die schlechte Bewegungsqualität als Ursache haben.
Bleiben wir beim Gehen. Läuft ein Mensch jahrelang nicht korrekt, dann kann sich, z. B. die eine Hüftseite mehr abnutzen als die andere. Fallen die Schultern nach vor und der obere Rücken ist rund, befindet sich also ständig in einer verstärkten Kyphose, kann das zu Wirbelsäulenschäden führen. Wenn mit Beinen in Valgusstellung (X-Beine) gegangen wird, kommt es ganz sicher irgendwann zu Knie und Hüftproblemen.
So könnte man viele tägliche Bewegungen benennen bei denen es aufgrund mangelnder Bewegungsqualität zu Verletzungen kommen kann.
Wir müssen darauf achten, dass unsere Kinder jede Entwicklungsphase so durchlaufen wie es die Natur vorgesehen hat.
Die Erwachsenen sollten darauf achten, dass sie Bewegungsmuster so lange wie möglich qualitativ hochwertig halten. Und wenn bereits Defizite bemerkbar sind und das sind sie, meiner Erfahrung nach bei fast jedem, sollte mit entsprechendem Training gegengesteuert werden. Hierzu empfehle ich tägliches Mobilitytraining.
Wenn du dich intensiver mit dem Thema Bewegungsqualität, Body Maps und Mobility befassen willst, empfehle ich dir dieses Buch: “Mobility – das große Handbuch“